Blog von Walter Lackermayr & dem Forum der WuidnBuam (und Madln natürlich auch)




Montag, 27. August 2012

"Memento" (Piz Palü östl. Nordwandpfeiler)


Kennt Ihr Christopher Nolens "Memento"? Das ist einer dieser diese Filme, in denen die Handlung rückwärts zu laufen scheint. Jede Szene wirkt wie ein Puzzlestück und erst am Ende erscheint die ganze Story wie ein großes Bild, meistens anders als erwartet.

Memento:

Wir sitzen beim Italiener um die Bilder vom letzten Wochenende auszutauschen. Draußen schüttet's aus Kübeln, Katharina sitzt vor, bzw. von mir aus gesehen hinter einem reichlich großen Stück Lasagne. Ursprünglich waren Canneloni oder so geplant, aber sie hat so einen riesigen Hunger, und Lasagne ist mehr. "Danke, jetzt ist der Appetit wieder weg. Mir dreht sich schon wieder der Magen um!" Die Vierergruppe Anwälte am Tisch hinter mir, die sich angeregt über ihre Mandanten und Mandate amüsieren, verstummt kurz.
Beim Bergsteigen kommt einem ja duchaus manchmal der Mageninhalt entgegen. Aus Angst zum Beispiel. Mit Chrissi mitten in der Eisspur an den Renkfällen wär mir das beinahe passiert. Wir hingen am Stand der dritten Länge. Chrissi startet das wenige Zentimeter dicke Eisschild hoch, dreht eine Schraube, die nach wenigen Umdrehungen wieder in dem breiten Luftspalt zwischen Eis und Fels zum Vorschein kommt und sich lustig ins Leere schraubt. Bei jedem Schlag schwingt das Eisschild hin und her, keine Ahnung wo es überhaupt noch mit dem Berg verbunden ist. Keiner der anwesenden Eiskletterer wollte in diese Linie einsteigen. Ausser Chrissi. Alle schauten etwas verwundert, empört, verständnislos, als wir an dem Grüppchen nicht unbekannter Eisakrobaten vorbei zum Einsieg der Eisspur stapfen. "Wollt's ihr da wirklich einsteigen?" Tom's lapidarer Kommentar: "Am Walter is des wuascht...." Das Eisschild vibriert und ich spüre hilflos den Drang des Frühstücks in die Freiheit. Wenn wir das überleben geh ich nie mehr in so 'nen Albtraum! Ein paar Stunden später am Ausstieg denk ich mir, Maaan, so geil! Ein paar Jahre später im Supervisor wär's beinah schief gegangen. Vorsätze haben meist eine sehr kurze Halbwertszeit.
Auch die Höhe ist oft verantwortlich für die Verweigerung des Magens, das zugeführte Nahrungsmittel der Verdauung zu überlassen, sondern selbiges im hohen Bogen in die Umwelt zu verteilen. So wie mir mein Bruder am Aconcagua die mühsam gekochten drei Liter Tee aus dem Zelt entgegeschleuderte, genau in dem Moment als ich ins Zelt kriechen wollte.
Oder einfach die Anstrengung, körperlich wie auch mental, wenn's dem Körper und dem Geist einfach mal zu viel wird. Erst vor einer Woche als Christian, Katharina und ich uns durch's Stubai biwakierten, beim Sonnenuntergang auf dem Wilden Pfaff.


Sowas kommt vor. Auf der Heimfahrt unterhalten wir uns natürlich darüber, was jeder noch so alles machen möchte. Palü Ostpfeiler und Weißhorn Überschreitung finden sich in unserer Schnittmenge. Nach der Tour ist vor der Tour. Eine Woche später steht der (neue = der alte, nur neuer) Volvo mal wieder auf dem Parkplatz der Diavolezza Bahn. Um uns rum eine Menge mehr oder weniger hektischer Hoch- und normaler Touristen. Schwer bepackt, equipped bis in die Haarspitzen. Makalu Westpfeiler? Da lang!
Wir nehmen 's eher locker und kommen uns in Jeans und Turnschuhen etwas deplatziert in der Gondel vor. Dafür müssen wir nicht in der Berghose beim Vier-Gänge-Menü sitzen.


 Eine polnische Zweierseilschaft klimpert auf der Panoramaterrasse unünersehbar mit den Insignien der Extremen herum, gefährlich aussehende Eisgeräte mit jungfräulichen Klingen, Eisschrauben, Friends, Karabiner... Die Reaktion des staunenden Publikums in Form einer Gruppe Jugendlicher voller Spannung auf die morgen bevorstehene Besteigung des Piz Palü lässt nicht lange auf sich warten: "Ihr habt's was Gröberes vor, oder?" "Sorry, Polish!"
Um kurz vor vier Uhr beim Frühstüch haben wir uns dann auch als Alpinisten geoutet. Wir tappen Richtung Piz Torvat. Und weil's so schön markiert ist, plötzlich auch gscheit bergauf anstatt waagrecht um den Klapfen herum. So lange bis es überall wieder bergab geht. Scheiße, verkoffert im Halbschlaf. Hinter uns ein ganzer Wurm aus Stirnlampen, der sich uns, wahrscheinlich ebenfalls wegen noch nicht hochgefahrener Denksysteme, gedankenlos hinterherverkoffert hat. "...gscheit verkoffert!" sag ich den Nachfolgenden als ich zurückgehe. Der Wurm ist unbeeindruckt und geht ebenfalls erst ganz hinauf, wahrscheinlich um selbständig erkennen zu dürfen dass das der falsche Weg war. Nun gut, ist passiert, ne halbe Stunde verschissen. Wenig später laufen wir über den aperen Persgletscher hinüber zum Eisbruch unter dem Piz Cambrena.


Durch den Bruch geht's gut, allerdings sind die Spaltenübergänge um die fortgeschrittene Jahreszeit schon filigran, ich denk mir noch, "Hei, Nachmittags wenn's aufgeweicht ist kann das spannend werden. Immer aufmerksam Augen auf beim Bergsport".



Nach der ersten großen Bruchzone verlassen wir die ausgetrete Autobahn des Normalweges und halten auf den Ostpfeiler zu. Die Sonne kommt raus, endlich allein unterwegs. Doch Mist, was seh ich da? Steigeisenspuren, ganz klar polnischer Herkunft. Am Einstieg haben wir dann auch erst mal Zwangspause. Die Polen kämpfen derweil mit dem Einstieg.


Wir lassen uns Zeit um etwas Abstand zu haben. Nützt aber nicht viel, also bleibe ich einfach etwas weiter rechts um gleich die Pfeilerkante zu erreichen, während die Kollegen aus dem Osten links in der Flanke bleiben. Geiler Fels, Klettern in der Morgensonne, der einzige Wehrmutstropfen sind die unerwarteten Bohrhaken. Aber mit denen ist's nach zwei Längen vorbei und ich wieder versöhnt mit dem Pfeiler. An der Kante schaue ich rüber zum Bumillerpfeiler.



Das war auch ne lässige Aktion. Beim Abstieg mit Ralph vom Biankograt dachte ich mir, der schaut aber grad gut aus. Handy raus und noch auf der Isla Pers Berni angerufen: "Was machst'n morgen?" Nix, hat er gesagt. Also mit Ralph heimgefahren, Berni eingeladen und wieder hingefahren. Bergsport = Motorsport hat Franz auf seinem Blog geschrieben, wird seine Richtigkeit haben. Aus Sauberkeitsgründen und weil's alles Training für's Gebirg ist, haben wir auf die Seilbahn verzichtet und sind zu Fuß auf die Diavolezza. Der Bumiller war dann echt klasse. Beim Zustieg hat mich zwar der Eisschlag erwischt, als weiter oben am Pfeiler Berni zu mir kommt und wir das Seil anlegen, meint er "Wieso hängt dir denn das halbe G'sicht runter?" War aber nicht so schlimm, sah nur wüst aus. Die Kletterei am Bumiller war erstklassig gut und die Eisnase bot noch zwei perfekte senkrechte Längen in bestem Eis!

Hier an unserem Pfeiler ist's auch super, perfekter Fels, immer an der Kante entlang. Immer gut, nie langweilig.


Ein Turm winkt mit ein paar Haken, drei von insgesamt fünf am ganzen Pfeiler, abgesehen von den ersten beiden "sanierten" Längen.


Hier ist's mal gar nicht so einfach, nix mit IVer Gelände, V+/A1 ist angesagt, aber saugut. Überhaupt denk ich mir mal wieder was zu Bewertungen und deren Verwendung.
Der Ostpfeiler am Palü ist mit D- bewertet, klettertechnische Schwierigkeit Stellen IV, oft III und II, kaum fixes Material das den Weg weisen könnte, Eis bis 50°, 600 Meter, komplizierter Zustieg und knapp 1000 Hm Abstieg. Stimmt alles soweit. Der Papillionsgrat in Chamonix hat 200 Hm, davon zwei SL V, Rest II und IV, ist bestens mit Material bestückt, Zustieg eine halbe Stunde von der Seilbahn und eine Abseilpiste als Abstieg. Kann man als nette Nachmittagsunternehmung machen. Klar, eine gute Tour und für viele auch ein großes Ziel und ebenso große Leistung, das will ich nicht schmälern. Aber dann in irgend einem Forum D+ reinschreiben? Naja, haut's mal ned gar so auf's Blech Burschn...



Nach dem Turm legt sich der Pfeiler zurück und hier findet sich etwas leichtes Gelände, seilfrei will ich es Katharina aber nicht zumuten, der Fels hat mittlerweile eine ziemlich durchgängige Eisglasur und runterfallen ist nicht gut hier. Und die Seele soll ja auch genießen und sich nicht zu Tode fürchten an so einem schönen Grat. Schwer ist leicht mal was. Nicht nur an sich selber denken, sondern auch daran wie es dem anderen damit geht. Dann dauert's halt a bissal länger.


Wenn ich schnell sein will, geh ich mit Rainer. Wir haben letztes Jahr den Spinaspfeiler, noch eins weiter rechts als der Bumiller, gemacht. Vier Stunden. Auf der Tour hat Rainer mir auch gesagt, dass der Ostpfeiler doch lohnend sei, weil mir der bis dahin zu "langweilig" erschien. Rainer, da hast Recht g'habt!

Nach dem flacheren Teil schließt eine schöne Firnschneide den Pfeiler wie ein Sahnehäubchen ab.


Die beiden Polen ziehen am kurzen Seil hinauf. Da lassen wir lieber etwas Abstand, die Flanke hat gute 50°. Zwar guter harter Firn, aber das kann auch zwischendrin mal ein paar Meter blank werden, und dann? Wenn dann einer von euch rutscht, stolpert, das Eisen verliert.... Übel kommt mir die Erinnerung an das Gipfeleisfeld der Eiger Norwand hoch. Nachts im Surm am laufenden Seil löste sich Bernis Steigeisen und er stürtze, ich hing im blanken Eis an meinen beiden Quarks, Berni hing irgendwo unter und vor allem an mir in der Nacht. Das war gar nicht lustig. Nein, das machen wir nicht, Katharina hat wenig Erfahrung im Eis, ich geh das mit Seil. Also alle 50 Meter hacken, Schrauben drehen, und dann wird so eine "kurze Firnschneide" ganz schön lang, zerstückelt in 50 Meter Stückchen.

Fünf Stückchen um genau zu sein.
Dann oben!




Die Sonne sinkt über den Piz Bernina, wird ihn schon bald berühren. Fast schon ein magischer Moment. Wie wenn sich die Hände zweier Verliebter endlich berühren, fast wie zufällig, und in Wirklichkeit doch unvermeidlich.



Ich liebe diese Bergsteigerei, egal wie schwer oder leicht! Sonnenuntergang auf dem Palü, den Gipfel und alles drum herum nur für uns, keine Horden, keine Sonnencreme-Angstschweiß-Gipfelurinfleck geschwängerte Modegipfelstimmung.


Den Gletscherbruch erreichen wir noch bei Tageslicht, doch einige über den Tag kollabierte Spaltenübergänge geben der Sache eine gewisse Würze, die sich ob der dann plötzlich fortgeschrittenen Zeit mit einhergehender Lichtschwindung zur Chilli-jetzt-wirds-aber-doch-scharf-Stimmung ausbeult. Ich steh dumm rumm. Auf einer von hunderten steigeisenbewährter Hochtourenschuhen aus- und eingetretenen Spur im Bruch des Persgletschers. Mit vor mir nichts. Mist. Jetzt hab ich mir von oben, vom Pfeiler aus, so gut eingeprägt, welche Brücken über den Tag kollabiert sind und wie der Weg durchs Labyrinth am besten geht. Aber diese Stelle hab ich nicht bedacht. Sieht man auch von oben nicht. Von unten beim Zustieg auch nicht. Aber jetzt, davor, seh' ich's genau. Ein großer Sprung und schon bist auf dem Schneebalkon, der vom unteren Spaltenrand in die vielleicht fünf Meter breite Wunde, die mangels Elastizität in der Materie Gletscheis entstand, ragt.


 Springen... ok, aber lieber hintersichert. T-Anker mangels Eis, ausgerechnet hier wo ma's braucht wieder nur Sulz und Bröseleis. Nochmal nachdenken, dann Anlauf, Augen zu, Hirn aus und "wird schon halten"... Nein, funktionier nicht, das Nachdenken zu Anfang stoppt schon den ganzen Vorgang: Spalte mit zuviel Rand, komm ich im Fall eines Falles alleine nicht raus, Schneebalkon viel zu mächtig, wenn der kommt, kommt viel, mit den Eisen abtauchen, alles viel zu heikel. T-Anker wieder ausbuddeln. Anderen Weg suchen. Nicht gefunden. T-Anker wieder verbuddeln, alles nochmal. Alles? Ja, alles! Auch dieselbe Entscheidung. So ein Blödsinn, und so was passiert mir! Lächerlich! Hoffentlich siehts keiner...
Also wieder auf die Suche nach einer anderen Möglichtkeit. So, und nun findet sich diese auch, zwar etwas weiter als vorhin geschaut, aber safe für uns zwei. Schön. Dann noch zurück zum Piz Torvat und hinüber zur Diavolezza. Ein Panasch und 'ne Zigarette Nachts auf der Terasse. Zufriedenheit stellt sich ein. Schlafen gehen.
Frühstück auf der Terasse. Latte macchiato, und wieder haben wir unsere Leben angefüllt mir einem wunderbaren Abenteuer im Gebirge. Bei Sonnenschein durch's Engadin zurück. Etwas wehmütig, weil's immer ein Abschied ist, vom Berg, vom Abenteuer,von der Vorfreude, weil mir jetzt kein Pfeiler mehr fehlt am Palü.
Es ist ein bischen so, als wenn du eine Schokolade aufgegessen hast: Sie hat wunderbar geschmeckt, es hat Spaß gemacht sie zu essen, es war auch genug, mehr müsste gar nicht sein, aber jetzt ist sie ALLE! Du kannst Dich nicht mehr darauf freuen sie zu essen, das Verlangen ist gestillt. Aber Berge sind unendlich. Nach der Tour ist vor der Tour. Alles ist Training und Vorbereitung für's nächste. Wirklich oben bist Du nie hat Reinhard Karl das beschrieben. Ich nenne es Wehmut. Die Wehmut zwischen gewesen sein und werden, zwischen Vergangenem und Zukunft, das Jetzt. Beim Bilder austauschen sage ich was von Weißhorn Überschreitung, das wäre auch noch in Katharinas Range. Sie war aber noch beim Ausruhen, bei der Freude über den Pfeiler am Palü, noch nicht bereit für den Druck, die Leistungsgrenze wieder ein Stück zu verschieben. Der Magenschwinger der Angst und Anspannung, der immer genau dann in Deinem Bauch landet wenn du etwas vorhast, von dem du nicht weißt ob du dem gewachsen sein wirst, landet zielgenau in ihrem Solarplexus. "Danke, der Apettit ist weg, mir dreht sich schon wieder Magen um..."
Doch ich weiß es mittlerweile: Der Appetit kommt, das Bauchweh geht, und umgekerhrt. Wirklich satt wirst Du nie!

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Walter, immer wieder eine Gaudi, deine Texte zu lesen.

Deichjodler hat gesagt…

Nicht nur eine große Tour, sondern auch (mal wieder) ein großartiger Bericht.

Meine eigene Bergsteigerei bewegt sich zwar auf einem viel niedrigeren Niveau, aber was Du im letzten Abschnitt beschreibst, kenn ich ganz genau so auch.

Grüße
Hannes